Exsikkose

Alte Menschen scheuen das Trinken

Im Alter nimmt das Durstgefühl ab und begünstigt ein Austrocknen. Jedoch scheuen auch viele das Trinken, weil sie sonst zu oft auf Toilette müssen. Kein Tag vergeht auf einer internistischen Station, an dem man nicht mit älteren Patienten oder deren Angehörigen über die Trinkgewohnheiten spricht. Die erste Äußerung ist nahezu immer: ich trink doch genug! Ein Zupfen am Handrücken bringt sofort Klarheit. Stehende Hautfalten sind keine Alterserscheinung, obwohl im Alter zunehmend häufiger auftretend. Stehende Hautfalten sind wie von Blumen hängengelassene Blätter. Die Pflanze ist schlichtweg trocken. Das gleiche gilt für die Patientin. Kaum Flüssigkeit im Gewebe läßt die gezupften Hautfalten stehen.

Kaum ist der Hinweis auf mehr Flüssigkeit ausgesprochen, schon prallt einem Widerspruch entgegen: der Hausarzt habe gesagt, nicht mehr als 1,5 Liter am Tag. Woher diese dogmatische Zahl stammt, ist kaum einem Arzt bekannt. Ob sie sinnvoll ist, auch nicht. Allerding heißt für ältere Menschen der Hinweis, maximal 1,5 Liter am Tag zu trinken, dass man mit einem Liter auf der sicheren Seite ist. Also wird viel zu wenig getrunken.

Den Hinweis auf maximal 1,5 Liter kann man sich getrost schenken, da er schlimmstenfalls nur als Ausrede dient, nicht trinken zu  müssen. Die Patienten kommen sowie nur selten an diese Menge heran, so dass eine solche Empfehlung schlichtweg unsinnig ist. Ebenso fruchtet die Empfehlung, mehr zu trinken, auch nicht. Ein fehlendes Durstgefühl wird attestiert und die Schwester angehalten, die Patienten ständig ans Trinken zu erinnern. Oftmals haben aber ältere Menschen einfach nur Angst zu trinken, weil sie dann häufiger auf Toilette müssen und so immer wieder vor Augen geführt bekommen, dass sie auf Hilfe angewiesen sind.

Dieses Flüssigkeitsmißverständnis hat mehrere bedeutsame Folgen. Im Rahmen des Flüssigkeitsmangels klagen viele Patienten über Muskelkrämpfe, die sie selbst mit Magnesium behandeln, was aber wirkungslos bleibt, da ja Flüssigkeit fehlt. Die Nierenwerte schnellen in die Höhe, es entstehen Kopfschmerzen und letztendlich sind die Patienten verwirrt. Dieser Zustand führt nicht selten zum Sturz und der Teufelskreis ist gestartet.

Jeder klinisch tätige Arzt erinnert sich an einen Patienten, der völlig ausgetrocknet in die Klinik kam. Total desorientiert, verwirrt, mit verwaschener Sprache. Nach dem Legen eines Zugangs wird Flüssigkeit über die Vene gegeben und rasch hat man einen halbwegs orientierten Patienten vor sich.

Wasser ist ein lebenswichtiges Nahrungsmittel, eine unersetzliche Trägersubstanz, die das Blut flüssig hält. Es läßt sich sehr leicht ausmalen, was passiert, wenn zu wenig Wasser im Körper ist. Das Blut wird zähflüssiger mit allen Konsequenzen bis hin zu Thrombosen. Es drohen Kopfschmerzen und teils erhebliche Verwirrtheitszustände bis zum Koma. Auch der Blutdruck sinkt. Die Nierenfunktion verschlechtert sich, Eletrolyte wie Kalium und Natrium verändern sich und begünstigen  so Herzrhythmusstörungen.

Was im Akutstadium jedem Patienten und Angehörigen und letzten Endes den Ärzten sowieso klar  ist, ist es bei chronischem Flüssigkeitsmangel plötzlich nicht mehr. Wieso ist die Nierenfunktion eingeschränkt. Die Medikamente werden in den Dosen angepasst. Die Verwirrtheitszustände sind wahrscheinlich Folge ein er Demenz oder eines Schlaganfalls. Aber ein Flüssigkeitsmangel wird ja nicht besser, nur weil er länger besteht. Da gibt es keinen Gewohnheitseffekt. Hier herrschen die reinen Naturgesetze. So kann man mit kleinen Untersuchungen beim alten Patienten rasch feststellen, wo das Problem liegt, wenn er verwirrt ist. Auf dem Handrücken an der Haut zupfen und wenn sich die Hautfalten nicht sofort wieder glätten, dann liegt ohne wenn und aber ein Flüssigkeitsmangel vor, der bis zum Beweis des Gegenteils die Ursache des  akuten oder chronischen Verwirrtheitszustands ist.